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Marketing Automation: Warum ich nichts Gescheites geworden bin

Bildquelle: Pexels

Prolog 18. Februar 2021

Ich starrte auf das rotgelbe Etwas auf meinem Teller – ein nahezu quirliger Farbtupfer im Vergleich zur restlichen Atmosphäre meines Zimmers. „Danke“, sagte ich und meinte es ernst. Obwohl ich keine Ahnung hatte, was das war, würde ich es bis auf den letzten Krümel aufessen. Krankenhäuser sind nicht als Gourmetküche bekannt. Umso mehr freute es mich, etwas erstaunlich Genießbares auf dem Tisch zu haben. „Lass es dir schmecken“, sagte der Herr, der mir die Speise überbracht hatte, und wendete sich zu meiner Überraschung noch nicht zum Gehen. Stattdessen erfuhr ich, dass er Patrick hieß und ziemlich kundig in Sachen Smalltalk zu sein schien. Wir unterhielten uns über das Münchner Wetter und darüber, dass ich es bald schon wieder draußen genießen könne. „Was machst du denn eigentlich, wenn du nicht gerade in Quarantäne steckst?“, erkundigte er sich erstaunlich gelassen darüber, dass ich für ihn womöglich ein Gesundheitsrisiko darstellte. „Oh, ich bin im Marketing tätig“, ließ ich ihn wissen, bereits an meiner Mahlzeit kauend. Ich musste wohl einen Witz erzählt haben, jedenfalls fing mein Gegenüber breit zu grinsen an. „Hab ich mir gleich gedacht, als ich dich gesehen habe! Kunst oder Marketing, eins von beidem. Sag mal, hättest du nichts Gescheites werden wollen?“ Nun, in erster Linie wollte ich es mir nicht mit der Hand verscherzen, die mich bei diesem Aufenthalt versorgte. Höchstdiplomatisch stellte ich klar, dass ich meinen ungescheiten Job ziemlich gerne machte. Doch obwohl es mich zurück in die Isolation verfrachtete, war ich diesmal gar nicht so traurig, als sich die dicke Schutztür hinter Patrick schloss und ich wieder alleine war.

Liebes Tagebuch,

Vorurteile sind bestimmt schon so alt wie die Welt und auch ich bin nicht vor ihnen gefeit. Doch die „Marketing-Tante“ scheint im 21. Jahrhundert weit verbreitet zu sein. Wenn ich dann einmal genau erkläre, was ich beruflich tue, schaue ich meistens in überraschte Gesichter. Für mich ein Anlass, diesem Thema auch einen Platz in meinem Tagebuch zu widmen – besonders, weil es meinen Job ohne Informationstechnologie gar nicht gäbe. Also, was mache ich eigentlich den lieben langen Tag?

Ich bin dafür zuständig, Marketingaktivitäten zu digitalisieren und zu automatisieren. Auch wenn sich meine Jobtitel im Zeitverlauf geändert haben, besteht meine Aufgabe im Großen und Ganzen immer aus dem gleichen Ziel: Daten sammeln und nutzen.

Dafür kommt ein sogenanntes Marketing Automation Tool zum Einsatz. Eine Software, die Marketingaktivitäten wie Veranstaltungen, Newsletter, Werbeanzeigen – kurz genannt Kampagnen – begleitet und deren Erfolg erfassen kann.

Der Umgang mit einer solchen Software, wie etwa Marketo oder Pardot (Account Engagement), will erlernt sein und kostet nebenbei nicht wenig an Lizenzgebühren. Es gibt allerdings gute Gründe, weshalb Unternehmen diesen Aufwand betreiben. Einen Auszug davon stelle ich nachfolgend zusammen.

Personalisierung: Werben ohne zu nerven

Werbung kann gewaltig auf den Keks gehen. Besonders, wenn starre Inhalte auf eine größtenteils unbeteiligte Masse treffen. Umso ernster nehme ich meinen Beruf, denn er geht genau diesem Gießkannenprinzip an den Kragen.

Das Sammeln von Informationen ist die Voraussetzung: Für welche Produkte könntest du dich interessieren? Hast du einen konkreten Bedarf? Bist du neu hier? Wenn es darauf Antworten gibt, kann der Inhalt wesentlich besser auf dich persönlich eingehen. Besonders beim E-Mail-Marketing darf ich diese Entwicklung mitgestalten: Auch wenn 50.000 weitere Personen den gleichen Newsletter abonnieren, so ist deiner eben doch ein Unikat.

Für den Empfänger wertig, für den Absender eine Herausforderung. Personalisierung in so großem Stil zu ermöglichen, ist per Hand nahezu unmöglich. Dann wird es Zeit, digitale Helfer einzusetzen: Hierzu müssen im System Entscheidungspfade konfiguriert werden. Sie dirigieren automatisch, welche Kampagnen und Inhalte für die Empfänger als relevant eingestuft werden.

Exkurs: Der Unterschied zwischen „automatisch“ und „von selbst

Zu den Teilnehmern meiner Schulungen gehört oftmals die Überraschung. Insbesondere darüber, wie viel Hirnschmalz und Aufwand in Automatisierung steckt. Wo doch alles von allein laufen müsste, oder? Pustekuchen: Automatisieren heißt nicht, dass es nichts mehr zu tun gibt. Nehmen wir eine Veranstaltung als Beispiel:
Verlinkt die Einladung auf die richtige Anmeldeseite? Wohin laufen die Registrierungen? Die kleinste Nachlässigkeit versalzt nicht nur die Messergebnisse, sondern wird im worst case lebendig. Ein falscher Klick, schon wurden Eventteilnehmer ans falsche Ende des Landes bestellt!
Kurzum: Kein Automatisierungstool der Welt kommt ohne die unermüdliche Sorgfalt der Anwender aus.

Qualifizierung: Die Spreu vom Weizen trennen

Digitalisierung offenbart Berührungspunkte mit potenziellen Interessenten, kurz Leads genannt. Davon kann es sehr, sehr viele geben. Für den Vertrieb ist es nicht machbar, jedem einzelnen davon nachzugehen. Also muss die Masse an Kontakten priorisiert werden. Im Fachjargon spricht man dabei von Leadqualifizierung.

Das ist alles andere als einfach und häufiger Diskussionspunkt zwischen Sales und Marketing. Wann zählt denn ein Lead als „heiß“? Anhand welcher Kriterien trennt man die Spreu vom Weizen? Wieder sind das schwerwiegende Fragen, die man bei allem Wunschdenken nicht an ein Automatisierungstool auslagern kann.

Sind die Kriterien definiert, unterstützt eine solche Software allerdings die Ausführung. Dafür stehen Funktionen bereit, die Leads auf verschiedenen Ebenen und Perspektiven bewerten. Eine wichtige Rolle spielt die Aktivität der jeweiligen Person: Hat sie sich eine Broschüre heruntergeladen? Ein Video angesehen? Wenn ja, wie lange? Allein der Inhalt kann über die Gewichtung der Aktivität entscheiden.

Berücksichtigt werden zudem demografische Aspekte. Aus welcher Branche kommt die Person? Verrät der Jobtitel etwas über ihren Entscheidungsspielraum? Es erfolgt ein Abgleich mit einem Idealbild, auch Persona genannt. Dabei wird bewertet, ob und inwiefern das Profil einer Person mit dem Bild eines „perfekten Kunden“ übereinstimmt.

Data Analytics: Datenbasierte Entscheidungen treffen

Selten hat Marketing Automation etwas mit Bauchentscheidungen zu tun. Deutlich mehr Gewicht hat die Meinung, welche die Daten vertreten. Wie viele Klicks hat ein Newsletter geerntet? Welche Themen sind beliebt? War der letzte Artikel wirklich ein Flop, oder stand er einfach zu weit unten in der E-mail? Solche Fragestellungen haben einen großen Einfluss auf die Weiterentwicklung der Kampagne. Die Entscheidung darüber, wie es weitergeht, trifft weniger der Marketing Manager als das Verhalten der Zielgruppe selbst.

Was viele nicht ahnen: Die Marketingteams stehen unter enormem Rechtfertigungsdruck. Es können sich noch so hochkarätige Leads im System tummeln – das Ganze muss am Ende Geld einbringen.
Nun können bis zum Abschluss eines Kaufs Monate, wenn nicht Jahre vergehen. Welche Berührungspunkte hatte ein Kunde über die gesamte Zeit hinweg und welche verdienen es, dass man ihnen eine Mitwirkung am Umsatz anerkennt? Um diese Fragen beantworten zu können, bin ich für die Erfassung ebendieser „Touch Points“ zuständig sowie für die Analysen, inwiefern sie einen Einfluss auf spätere Umsätze ausgeübt haben.

FAZIT

Offene Frage: War dir bewusst, was hinter Marketing Automation steckt? Oder kannst du dich vielleicht ein wenig mit Patrick* identifizieren, dem ich damals im Krankenhaus begegnete?
So oder so bedanke ich mich bei dir. Dass du mich erzählen lässt und dir selbst ein Bild machst, statt auf die guten alten Vorurteile zurückzugreifen.
Das Berufsbild ist nicht ohne: Es fordert ein tiefes Verständnis zwischen Mensch und IT. Die Fähigkeit, die tausendste Wiederholung wie den ersten Durchgang zu betrachten. Und sich vom Gedanken zu verabschieden, dass sich Mitdenken automatisieren lässt. „Gescheit sein“ gehört also in jedem Fall zur Rollenbeschreibung dazu.

*Name von der Redaktion geändert 🙂



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